Der Lehrer, der mit Musik Leben verändert

Issías Alonzo Balvín wuchs in den peruanischen Anden auf, wo er sang und traditionelle Instrumente spielte. Seine Leidenschaft führte ihn an das Nationale Konservatorium, wo er seine musikalischen Fähigkeiten und seine Disziplin verfeinerte und damit den Grundstein für eine Karriere als professionellen Musiker legte, bevor er später zu Sinfonía por el Perú kam. Heute gibt er als Lehrer und Orchesterdirigent sein Wissen an Kinder und Jugendliche weiter. 

Juan Carlos Bersague, Leiter des Jugendchors Sinfonía por el Perú, probt mit seinen Schülern.

In einem mit Trommeln, Geigen und Trompeten überfüllten Klassenzimmer bewegt sich Issías Alonzo Balvín wie die Noten, die über ein Notenblatt fließen: schnell und auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Schülers eingestimmt. Mehr als ein Lehrer sieht er sich als Begleiter. „Lehrer genannt zu werden, ist ein großer Titel. Er bringt eine enorme Verantwortung mit sich“, sagt er. „Ich unterrichte nur Musik. Und Unterrichten bedeutet für mich, zu begleiten.“ 

Issías’ Verbindung zur Musik begann in seiner Kindheit in Huancayo, einer Stadt im zentralen Hochland Perus. Seine ersten Spielzeuge waren Blas- und Saiteninstrumente, sein erstes Publikum waren seine Onkel und Großeltern, die sich im Haus der Familie versammelten, um traditionelle Musik aus den Anden zu spielen. Obwohl er kurzzeitig eine Karriere in der Medizin in Betracht zog und als Teenager auch Wirtschaftskurse belegte, kehrte Issías schließlich zur Musik zurück – diesmal als Berufung. 

Er studierte Komposition und Orchesterleitung am Nationalkonservatorium von Peru. Dort hörte er zum ersten Mal von Sinfonía por el Perú, einer nationalen Initiative, die Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Gemeinden Musikunterricht anbietet. 

Auswirkungen auf die Gemeinschaft

Mit Hilfe eines Lehrers, der seine Dirigentenlaufbahn in Italien aufgab, um sich der Musikpädagogik in Peru zu widmen, erhielt Issías eine Ausbildung, um einen mehrstimmigen Chor im Stadtteil Rímac aufzubauen, zu organisieren und zu leiten. Er begann in einem „Módulo“ und wechselte später zu einem „Núcleo“ – so nennt Sinfonía por el Perú seine 17 umfassenden Ausbildungszentren in Lima und anderen Regionen. 

Schüler üben im núcleo La Victoria.

Doch ausgerechnet in Rímac erkannte Issías den wahren Zweck des Programms. In diesem Bezirk leben laut Angaben der Ministerien für Soziale Inklusion und Gesundheit 76 % der Einwohner in Armut oder extremer Armut und 43 % der Vorschulkinder leiden an Blutarmut. Issías traf dort auf 16- und 17-Jährige, die die Volksschule nicht abgeschlossen hatten, sowie auf 20-Jährige, die nach mehrmaligem Sitzenbleiben immer noch die Sekundarschule besuchten. 

Die jüngsten Schüler hingegen kamen oft nur aus familiärem Druck oder weil ihre Eltern sie nirgendwo anders unterbringen konnten. Viele hatten noch nie ein Musikinstrument gesehen – aber alle hatten etwas mit sich herumzutragen: Probleme zu Hause, Ängste oder Schwierigkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten. Sie kamen voller Misstrauen, weil sie mit Sätzen wie „Du bist nicht gut darin“ oder „Das ist nichts für Leute wie uns“ aufgewachsen waren. 

Sie in einer gemeinsamen Aufführung zusammenzubringen, war keine leichte Aufgabe, daher entwarf Issías ein Stück, in dem die jüngsten Schüler singen und die älteren schauspielern sollten. Allmählich wurde sowohl den Schülern als auch dem Lehrer klar, was Musik bewirken kann: Sie ist ein Ventil. Durch gemeinsame Proben, in denen der individuelle Entwicklungsprozess jedes Einzelnen respektiert wurde, begannen die Kinder zu entdecken, dass ihre Stimmen wichtig sind – und dass Fehler zu machen nicht gleichbedeutend mit Versagen ist. Diese Erkenntnis veränderte alles. 

„Hier fühlen sie sich respektiert. Sie spüren, dass sie eine Chance haben, sich zu verändern. Sie haben keine Angst mehr vor Mobbing – und sie beginnen, von der Zukunft zu träumen“, sagt er. 

Neben dem Singen spielt Carlos auch leidenschaftlich gerne Klavier.

Issías erinnert sich an einen siebenjährigen Jungen, der aus Pflichtgefühl zum Klavierunterricht kam. Er schien alles zu hassen – das Klassenzimmer, das Instrument, die Routine. Aber es war kein Desinteresse; es war der Schmerz über die Trennung seiner Eltern. Nach und nach, als der Lehrer begann, ihn zu verstehen, wurde das Klavier zu einem Zufluchtsort. Der Junge übte zunächst 40 Minuten am Tag, dann drei Stunden. Seine Persönlichkeit veränderte sich – er wurde einfühlsamer. Heute studiert er Tontechnik und hat die Beziehung zu seinen Eltern wieder aufgebaut. 

Gabriela Perona, Geschäftsführerin von Sinfonía por el Perú, erklärt, dass eine ihrer obersten Prioritäten darin besteht, für das Wohlergehen der Lehrer des Programms zu sorgen, da die emotionale Unterstützung, die sie leisten, eine psychische Belastung darstellen kann. 

 

Mehr Ausbildungsprogramme für Lehrer

In Peru wird Musik nicht als eigenständiges Schulfach unterrichtet, sondern ist Teil des breiter gefassten Fachbereichs „Kunst und Kultur“, der aufgrund des Mangels an qualifizierten Absolventen oft von nicht spezialisierten Lehrern unterrichtet wird. Im Jahr 2016 versprach der damalige Präsident Pedro Pablo Kuczynski, Musik zu einem Pflichtfach in der Schule zu machen. Die einzige Änderung, die umgesetzt wurde, war jedoch eine Erhöhung des wöchentlichen Kunstunterrichts von zwei auf drei Stunden. 

Das Bildungsministerium bietet ein außerschulisches Programm namens „Orquestando“ an, das in 18 Schulen in Lima und anderen Regionen durchgeführt wird – eine geringe Zahl im Vergleich zu den mehr als 53.000 öffentlichen Schulen des Landes. Deshalb spielen Programme wie Sinfonía por el Perú eine so wichtige Rolle. 

Bei AIM lernen die Lehrerinnen und Lehrer, ihre Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen, kreativere und kooperativere Menschen zu werden, nicht nur bessere Musiker.

Christine Rhomberg, Direktorin für Musik für sozialen Wandel bei der Hilti Foundation – einem langjährigen Partner und Hauptförderer von Sinfonía por el Perú – erklärt, dass die meisten Musikhochschulen Lehrer nicht auf die Arbeit mit Kindern aus benachteiligten Verhältnissen vorbereiten. „Die traditionelle Musikausbildung konzentriert sich auf Performance und Technik, auf das Lesen von Noten. Die Universitäten tun nicht genug, um den größeren Kontext zu berücksichtigen – das Wohlbefinden der jungen Musiker oder die Möglichkeit, sie mit Kammermusik in Kontakt zu bringen, was eine grundlegende Basis ist für das gemeinsame Musizieren .“ 

Aus diesem Grund hat die Hilti Foundation 2020 die Academy for Impact through Music (AIM) ins Leben gerufen – ein Innovationslabor, das Musiklehrer anhand eines sozial orientierten pädagogischen Ansatzes ausbildet. AIM betont die Bedeutung des Aufbaus empathischer Beziehungen, um sowohl die persönliche als auch die gemeinschaftliche Entwicklung der Schüler zu fördern, und bringt Teilnehmer aus aus aller Welt zusammen. 

Laut Gabriela Perona sind inzwischen 16 Absolventen des Programms in die Ausbildungszentren von Sinfonía zurückgekehrt, um selbst Musiklehrer zu werden – in abgelegenen Regionen und sogar im Amazonasgebiet. Wie sich dieser Kreis schließt, erfüllt sie mit Stolz. 

„Ich hatte das Glück, als Kind Zugang zu Musik zu haben. Jetzt ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass andere die gleiche Chance bekommen“, sagt Issías mit Überzeugung. 

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